Thursday, January 10, 2013

Zusatz i. Das Dialektische gehörig aufzufassen und zu erkennen ist von der höchsten Wichtigkeit.

Zusatz i. Das Dialektische gehörig aufzufassen und zu erkennen ist von der höchsten Wichtigkeit.


Es ist dasselbe überhaupt das Prinzip aller Bewegung, alles Lebens und aller Betätigung in der
Wirklichkeit. Ebenso ist das Dialektische auch die Seele alles wahrhaft wissenschaftlichen Erkennens.


In unserem gewöhnlichen Bewußtsein erscheint das Nicht-Stehenbleiben bei den abstrakten
Verstandesbestimmungen als bloße Billigkeit, nach dem Sprichwort: »leben und leben lassen«, so daß das eine gilt und auch das andere.


Das Nähere aber ist, daß das Endliche nicht bloß von außen her beschränkt wird, sondern durch seine eigene Natur sich aufhebt und durch sich selbst in sein Gegenteil übergeht.


So sagt man z.B.: der Mensch ist sterblich, und betrachtet dann das Sterben als etwas, das nur in äußeren Umständen seinen Grund hat, nach welcher Betrachtungsweise es zwei besondere Eigenschaften
des Menschen sind, lebendig und auch sterblich zu sein.


Die wahrhafte Auffassung aber ist diese, daß das Leben als solches den Keim des Todes in sich trägt und daß überhaupt das Endliche sich in sich selbst widerspricht und dadurch sich aufhebt.


- Die Dialektik ist nun ferner nicht mit der bloßen Sophistik zu verwechseln, deren Wesen gerade darin besteht, einseitige und abstrakte Bestimmungen in ihrer Isolierung für sich geltend zu machen, je nachdem solches das jedesmalige Interesse des Individuums und seiner besonderen Lage mit sich bringt.


So ist es z. B. in Beziehung auf das Handeln ein wesentliches Moment, daß ich existiere und daß ich die Mittel zur Existenz habe.


Wenn ich dann aber diese Seite, dieses Prinzip meines Wohles für sich heraushebe und die Folge daraus ableite, daß ich stehlen oder daß ich mein Vaterland verraten darf, so ist dies eine Sophisterei.



 - Ebenso ist in meinem Handeln meine subjektive Freiheit in dem Sinn, daß bei dem, was ich tue, ich mit meiner Einsicht und Uberzeugung bin, ein wesentliches Prinzip. Räsoniere ich aber aus diesem Prinzip allein, so ist dies gleichfalls Sophisterei und werden damit alle Grundsätze der Sittlichkeit über den Haufen geworfen.


- Die Dialektik ist von solchem Tun wesentlich verschieden, denn diese geht gerade darauf aus, die Dinge an und für sich zu betrachten, wobei sich sodann die Endlichkeit der einseitigen
Verstandesbestimmungen ergibt.


- Übrigens ist die Dialektik in der Philosophie nichts Neues. Unter den Alten wird Piaton als der Erfinder der Dialektik genannt, und zwar insofern mit Recht, als in der Platonischen Philosophie die Dialektik zuerst in freier wissenschaftlicher und damit zugleich objektiver Form vorkommt.


Bei Sokrates hat das Dialektische, in Ubereinstimmung mit dem allgemeinen Charakter seines Philosophierens, noch eine vorherrschend subjektive Gestalt, nämlich die der Ironie. Sokrates richtete
seine Dialektik einmal gegen das gewöhnliche Bewußtsein überhaupt und sodann insbesondere gegen die Sophisten.


Bei seinen Unterredungen pflegte er dann den Schein anzunehmen, als wolle er sich näher über die Sache, von welcher die Rede war, unterrichten; er tat in dieser Beziehung allerhand Fragen und führte so die, mit denen er sich unterredete, auf das Entgegengesetzte von dem, was ihnen zunächst als das Richtige erschienen war.


Wenn z. B. die Sophisten sich Lehrer nannten, so brachte Sokrates durch eine Reihe von Fragen den Sophisten Protagoras dahin, zugeben zu müssen, daß alles Lernen bloß Erinnerung sei.


 - Platon zeigt dann in seinen strengen wissenschaftlichen Dialogen durch die dialektische Behandlung überhaupt die Endlichkeit aller festen Verstandesbestimmungen. So leitet er z. B. im Parmenides vom
Einen das Viele ab und zeigt demungeachtet, wie das Viele nur dies ist, sich als das Eine zu bestimmen.


 In solcher großen Weise hat Platon die Dialektik behandelt.


 - In der neueren Zeit ist es vornehmlich Kant gewesen, der die Dialektik wieder in Erinnerung gebracht und dieselbe aufs neue in ihre Würde eingesetzt hat, und zwar durch die bereits (§ 48) besprochene Durchführung der sogenannten Antinomien der Vernunft,


 bei denen es sich keineswegs um ein bloßes Hinundhergehen an Gründen und um ein bloß subjektives Tun, sondern vielmehr darum handelt, aufzuzeigen, wie eine jede abstrakte Verstandesbestimmung, nur so genommen, wie sie sich selbst gibt, unmittelbar in ihr Entgegengesetztes umschlägt.


 - Wie sehr nun auch der Verstand sich gegen die Dialektik zu sträuben pflegt, so ist dieselbe doch gleichwohl keineswegs als bloß für das philosophische Bewußtsein vorhanden zu betrachten, sondern es findet sich vielmehr dasjenige, um was es sich hierbei handelt, auch schon in allem sonstigen Bewußtsein und in der allgemeinen Erfahrung.


Alles, was uns umgibt, kann als ein Beispiel des Dialektischen betrachtet werden.


Wir wissen, daß alles Endliche, anstatt ein Festes und Letztes zu sein, vielmehr veränderlich und vergänglich ist, und dies ist nichts anderes als die Dialektik des Endlichen, wodurch dasselbe, als an sich das Andere seiner selbst, auch über das, was es unmittelbar ist, hinausgetrieben wird und in sein Entgegengesetztes umschlägt.


 Wenn früher (§ 80) gesagt wurde, der Verstand sei als dasjenige zu betrachten, was in der Vorstellung von der Güte Gottes enthalten ist, so ist nunmehr von der Dialektik in demselben (objektiven) Sinn zu bemerken, daß das Prinzip derselben der Vorstellung von der Macht Gottes entspricht.


Wir sagen, daß alle Dinge ( d. h. alles Endliche als solches ) zu Gericht gehen, und haben hiermit die Anschauung der Dialektik als der allgemeinen unwiderstehlichen Macht, vor welcher nichts, wie sicher und fest dasselbe sich auch dünken möge, zu bestehen vermag.


 Mit dieser Bestimmung ist dann allerdings die Tiefe des göttlichen Wesens, der Begriff Gottes noch nicht erschöpft; wohl aber bildet dieselbe ein wesentliches Moment in allem religiösen Bewußtsein.


 - Weiter macht sich nun auch die Dialektik in allen besonderen Gebieten und Gestaltungen der
natürlichen und der geistigen Welt geltend. So z. B. in der Bewegung der Himmelskörper.


Ein Planet steht jetzt an diesem Ort, ist aber an sich, dies auch an einem anderen Ort zu sein, und
bringt dies sein Anderssein zur Existenz dadurch, daß er sich bewegt.


Ebenso erweisen sich die physikalischen Elemente als dialektisch, und der meteorologische Prozeß ist die Erscheinung ihrer Dialektik. Dasselbe Prinzip ist es, welches die Grundlage aller übrigen Naturprozesse bildet und wodurch zugleich die Natur über sich selbst hinausgetrieben wird.


 Was das Vorkommen der Dialektik in der geistigen Welt und näher auf dem Gebiet des Rechtlichen und Sittlichen anbetrifft, so braucht hier nur daran erinnert zu werden, wie, allgemeiner Erfahrung zufolge, das Äußerste eines Zustandes oder eines Tuns in sein Entgegengesetztes umzuschlagen pflegt, welche Dialektik dann auch vielfältig in Sprichwörtern ihre Anerkennung findet.


 So heißt es z. B.: summum ius summa iniuria, womit ausgesprochen ist, daß das abstrakte Recht, auf seine Spitze getrieben, in Unrecht umschlägt.


Ebenso ist es bekannt, wie im Politischen die Extreme der Anarchie und des Despotismus einander gegenseitig herbeizuführen pflegen.


Das Bewußtsein der Dialektik im Gebiet des Sittlichen in seiner individuellen Gestalt finden wir in jenen allbekannten Sprichwörtern: Hochmut kommt vor dem Fall, Allzuscharf macht schartig usw.


- Auch die Empfindung, die leibliche sowohl als die geistige, hat ihre Dialektik. Es ist bekannt, wie die Extreme des Schmerzes und der Freude ineinander übergehen; das von Freude erfüllte Herz erleichtert sich in Tränen, und die innigste Wehmut pflegt unter Umständen sich durch Lächeln anzukündigen.



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